Essen ist nicht unser Feind! Warum wir unsere Einstellung zu Nahrung überdenken sollten

Eine Konstante zieht sich wie eine riesige Spaghettinudel durch die gesamte Menschheitsgeschichte: Essen (und auch Sex oder die Lust darauf, sich gegenseitig den Schädel einzuschlagen, anderes Thema für einen anderen Tag). Um wenige Dinge machen wir so viel Aufhebens wie ums Essen. Kochshows, Starköche, Foodporn, Eventcooking und abertausende Blogs zum Thema. Das 21. Jahrhundert scheint in dieser Hinsicht das Zeitalter der Extreme zu sein. Zahllose Experten sagen uns tag ein, tag aus, was wir wann wie zu essen haben und warum alles andere Blasphemie wäre. Einig sind sie sich dabei nicht – jeden Tag tauchen neue besonders schädliche oder besonders gesunde Nahrungsmittel auf. Dabei könnte alles so einfach sein.

 In den 1980er Jahren fanden Wissenschaftler heraus, dass man sein Herzinfarktrisiko erhöht, wenn man viel Fleisch und wenig Gemüse futtert. Der Schluss lag nahe: Tierische Produkte sind böse! Besonders Eier wurden als  fiese Cholesterin-Bomben verteufelt. Heute weiß man: Eier sind cool. Gesättigte Fettsäuren sind zwar ungesund, die sind im Ei aber nicht übermäßig vorhanden. Aber wer weiß? Vielleicht findet man morgen irgendeine bisher unbekannte Eier-Komponente und schon sind sie wieder out.

In seinem Buch „Das Salz-Zucker-Fett-Komplott“ sagt der Autor Michael Moss, dass Ernährungswissenschaften ein extrem schwammiges und schwieriges Gebiet seien. Welche Prozesse bei der Nahrungsaufnahme im Körper ablaufen, ist noch längst nicht bis ins Detail geklärt. Zahllose Studien widersprechen sich fröhlich und Forscher auf dem Gebiet haben viel zu tun.

Dennoch wird die Zahl der Bücher über „richtige“ Ernährung nur noch von der der Selbsthilfe-Bücher übertroffen. Auf einmal ist jeder ein „Ernährungsexperte“, jeder kann mir genau sagen, wieso ___________ (hier beliebige Ernährungsweise einfügen) das Nonplusultra ist und alles andere furchtbar schädlich und ungesund.

Food shaming

Gesunde Ernährung ist simpel!

In einem wunderbaren Interview mit der ZEIT regt sich der Mediziner und Ernährungswissenschaftler David Katz darüber auf. Auf die Frage, was er von „Ernährungsfanatismus“ (vegane Crash-Diäten, Nachtschattengewächse sind des Teufels, Juicing ist das neue schwarz, …) halte, sagt er:

„Es macht mich wahnsinnig! Stellen Sie sich vor, wir wären uns alle einig, dass die Regeln für gesunde Ernährung simpel sind. Was stünde dann in den Frauenzeitschriften? Und in den Männerzeitschriften übrigens auch. Welche Geschichte würde man den Leuten verkaufen?“

Das ist der Knackpunkt. Wäre gesundes Essen simpel, sie könnten alle einpacken „Women’s/Men’s Health“, „Brigitte“, „die Marzipanschweine“ und zahllose Autoren von Diätbüchern. Doch genau das ist gesunde Ernährung: simpel – sagt Katz:

„Esst Gemüse, esst Obst, esst Vollkornprodukte, esst keine Fertigessen und übertreibt es nicht mit Zucker, Fleisch und Milchprodukten (…) Die Empfehlung, Gemüse zu essen, wird nicht überholt sein. Wir raten das den Leuten seit über 50 Jahren.“

Keiner von euch kann mir erzählen, dass er das nicht schon wusste. Und dennoch: In Sachen Ernährung verabschieden wir uns gerne von unserem gesunden Menschenverstand. Jeder weiß doch eigentlich, dass Süßigkeiten schlecht für Zähne und Figur sind, dass viel Gemüse und ausreichend Bewegung zum Wunschgewicht führen. Trotzdem glauben wir der Werbung, die uns „5 Kilo weniger in 5 Tagen mit der Dr. Dubios Wunderpille“ verspricht. Trotzdem probieren wir Absurditäten wie Kohlsuppen- oder Ananasdiät, Abnehmen im Schlaf oder I-make-you-sexy-dot-com. Wir dämonisieren Nahrung, suchen das Haar in jeder Suppe und verbringen Stunden damit, herauszufinden, ob Tomaten jetzt eher gesund oder eher ein Nachtschattengewächs sind.

Man mache sich klar: Unser Körper braucht Nahrung. Er kann sonst nicht überleben. Wir, die wir in einem reichen Land leben, haben das unglaubliche Privileg, aus einer Unzahl an verschiedenen Lebensmitteln wählen zu können. Dass wir es uns überhaupt leisten können, je nach Vorliebe (oder Unverträglichkeit) vegan, paleo oder glutenfrei zu leben, das ist ein Geschenk.

Entspannt euch!

Okay, wir haben jetzt gelernt: Gesunde Ernährung ist simpel. Für mich ist aber noch ein Punkt von großer Bedeutung. Ich weiß selbst (oder kann es zumindest herausfinden), was mir gut tut und was nicht. Ich habe zum Beispiel absolut kein Problem mit Laktose, vertrage aber Gluten nicht ganz so gut. Vegan ist nichts für mich und von Schokolade bekomme ich Pickel. Möchte ich abnehmen, schaffe ich das am besten, wenn ich wenig Kohlenhydrate esse und auf Süßigkeiten verzichte. Und ich liebe Essen. Die Menschheit hat in dieser Hinsicht echt einige Meisterleistungen verbracht (Man denke an Kuchen. Oder Mousse au Chocolat. Oder Rumpsteak in Pfeffersauce).

Also: Hört auf euren Körper. Er sagt euch in der Regel recht deutlich, was er nicht so gerne mag. Wie soll auch jemand, den ihr nie getroffen habt, der eure Geschichte, euren Lebensstil, eure Krankenakte nicht kennt, aber zufällig ein Buch über die Atkins-Diät geschrieben hat, besser wissen als ihr, was ihr essen sollt?

Versteht mich nicht falsch: Lest das Buch. Lest alle Bücher, die ihr kriegen könnt. Probiert alles aus. Und dann entspannt euch und entscheidet, was am besten für euch ist. Und hört auf mit diesem verdammten Foodshaming. Jeder ist selbst dafür verantwortlich, was er isst. Niemand hat das Recht, ihn deswegen zu verurteilen. Deswegen werden die Experimente hier im Blog auch nicht aufhören. Ich werde weiterhin mit Essen rumprobieren. Aber entspannt und mit Spaß bei der Sache. Denn Essen ist mein Freund – nicht mein Feind.

Bex

PS: Lest besagtes Interview, ich habe mich königlich amüsiert und einiges dazu gelernt: http://www.zeit.de/zeit-magazin/2015/03/gesunde-ernaehrung-essen-gemuese

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