Dienstagnachmittag, Uni, Motivation und Augenlider melden bereits seit Stunden unisono: Captain, wir sinken! Unsere illustre Runde angehender Journalisten/Moderatoren lektoriert Texte, die wir alle in mühevoller Heimarbeit fabriziert haben. Meiner ist dran. Wertvolles Feedback prasselt auf mich ein, ich mache mir eifrig Notizen. Ein Kommilitone hebt die Hand: „Du hast da ja diesen Satz geschrieben ‚Endlich liebe ich mich selbst‘ – da war mein erster Gedanke: Wow, ganz schön eingebildet“. Die restliche (sehr gute) Kritik bekomme ich kaum noch mit. Wenn man sich selbst liebt, ist man eingebildet? Das gibt mir zu denken. Plötzlich schäme ich mich. Bin ich eingebildet? Arrogant? Sollte ich mich doch lieber realistisch betrachten, sprich doof finden?
Der Satz lässt mir keine Ruhe und am Abend auf der Couch rattern die schlecht geölten Zahnräder in meinem Hirn erneut drauflos. Eingebildet – was bedeutet das überhaupt? Jeder, der an das Wort denkt, hat sofort ein ganz bestimmtes Bild im Kopf. Bei mir sind es – erbärmliches Schubladendenken ahoi – blonde, aufgetakelte Tussis im Minirock, 3 Kilo Spachtelmasse im Gesicht, die nur darüber reden können, wie toll sie und wie scheiße alle anderen sind. Der Frage, was das über mich aussagt, gehen wir besser ein anderes Mal/nie nach. Was sagt denn der Duden? Eingebildet, das bedeutet „aufgrund bestimmter Fähigkeiten, als positiv empfundener Eigenschaften oder einer gehobeneren sozialen Stellung sich für besser als andere haltend und diesen gegenüber in überheblicher, dünkelhafter Weise Distanz haltend, sich ihnen überlegen fühlend“ (http://www.duden.de), außerdem werden praktischerweise direkt Synonyme wie hochmütig, stolz, überheblich oder selbstgefällig angeboten. Okay. Akzeptiert. Aber ich halte mich nicht für besser als andere, nur weil ich mich so liebe wie ich bin. Also bin ich wohl doch nicht eingebildet?
Aber es kann ja auch bedeuten, dass etwas nicht real ist, man es sich eben nur einbildet. Also leide ich an Halluzinationen, wenn ich mich für einen liebenswerten Menschen halte? Autsch.
Was spricht der Duden denn zum Thema Selbstliebe?
„Egozentrische Liebe zur eigenen Person; Eigenliebe“, Synonyme: Egoismus, Eigenliebe, Selbstsucht. Alles total negativ behaftete Wörter. Wer denkt bei Egoismus schon an eine erstrebenswerte Eigenschaft?
Warum zum Teufel ist es denn so schlimm, mich selbst zu lieben? Immerhin muss ich mein ganzes Leben lang mit mir auskommen. Ich meine damit ja nicht, dass ich mich jetzt entspannt zurücklehnen und aufhören kann, an mir zu arbeiten. Ich liebe mich nicht, weil ich so perfekt bin, sondern obwohl ich es nicht bin. Und außerdem gibt es immer auch schlechte Tage, an denen ich mein Spiegelbild nicht ertrage und mir selbst die Pest an den Hals wünsche.
Man denke an seinen momentanen Lebensabschnittsgefährten. Klar, man liebt seinen Humor, seine wunderschönen Augen und diese kitschigen Nachrichten, die er einem abends immer schreibt. Und dann denke man an seine fiese Angewohnheit, immer das Messer abzulecken und dann wieder ins Nutellaglas zu stecken, seine Segelohren und dass er einfach nicht versteht, was der Satz „Es geht mir ums Prinzip!“ bedeutet. Liebt man ihn deswegen weniger? Macht man deswegen Schluss? Nein. Man muss ihn akzeptieren, wie er ist und weil man ihn liebt, geht das schon – auch, wenn man ihn an manchen Tagen unangespitzt in den Boden rammen will. Ihm geht es mit Sicherheit genauso 😀 Die logische Erklärung, warum es schön ist, andere zu lieben, aber eingebildet, wenn man sich selbst liebt, erschließt sich mir absolut nicht.
„To love oneself ist the beginning of a lifelong romance“, sprach Oscar Wilde (ein verrückter Zyniker, aber ich muss ihm recht geben). Wünschen sich das nicht die allermeisten von uns? Eine lebenslange, glückliche, erfüllte Beziehung. Fangen wir mit uns selbst an.
Bex
PS: Danke, lieber feedbackgebender Kommilitone! Ohne dich hätte es diesen Artikel nie gegeben :-*